IERM-Working-Papers
Das Team des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin hat sich entschlossen, eine neue Rubrik einzuführen: Die IERM-Working-Papers – österreichische Kommentare zu Medizinrecht, Medizin- und Bioethik.
Wir möchten mit dieser Rubrik eine Diskussionsplattform eröffnen, auf der aktuelle und virulente Themen aus dem Bereich der Medizin-, Pflege- und Bioethik wie auch aus dem Bereich des Medizinrechts publiziert werden. Die IERM-Working-Papers sind Werkstattberichte bzw. Diskussionsanregungen zu gesellschaftlichen, rechtlichen, normativen und ethischen Fragestellungen aus Philosophie und Ethik, Theologie und Medizin sowie aus den Sozial- und Kulturwissenschaften. Ein aktueller Schwerpunkt sind interdisziplinäre Reflexionen bzw. Lösungs- oder Handlungsansätze im Kontext des österreichischen Gesundheitswesens.
Reaktionen und Rückmeldungen – die sehr erwünscht sind – bitte an die Autor*innen. Wir werden Sie im Diskussionsverlauf über Updates oder Kommentare hier am Laufenden halten.
IERM-Working-Paper Nr. 15
Meral Demirbas
Assistierter Suizid als Herausforderung für die islamische Medizinethik und Seelsorge
Mit Inkrafttreten des Sterbeverfügungsgesetzes wurde neben europäischen Ländern wie Belgi-en, den Niederlanden und der Schweiz auch in Österreich der assistierte Suizid zu Beginn des Jahres 2022 legitimiert. Doch welche Relevanz hat diese Gesetzesänderung für den muslimi-schen Teil der österreichischen Bevölkerung? Wie haben sich bislang muslimische Theo-log:innen und Medizinethiker:innen zum assistierten Suizid geäußert und in welchem Maße sind diese Positionen wegweisend für Muslim:innen in Österreich sowie für das muslimische Umfeld der Suizidenten, insbesondere medizinische Fachkräfte und die Islamische Seelsorge? Im vor-liegenden Beitrag werden konkrete Regelungen sowie ein handlungsorientierter Ansatz präsen-tiert, welche aus islamischer Sicht in der Umsetzung des Sterbeverfügungsgesetzes in Öster-reich erforderlich sind. Darüber hinaus werden zentrale, im Kontext des assistierten Suizids häufig diskutierte Themen wie Leiderfahrung und Qualität des Lebens aus einem islamischen Blickwinkel beleuchtet.
Schlüsselwörter: Sterbeverfügungsgesetz – Assistierter Suizid – Islamische Medizinethik – Isla-mische Seelsorge – Leiderfahrung – Qualität des Lebens
With the entry into force of the Death Disposition Law, assisted suicide was also legitimized in Austria at the beginning of 2022, alongside European countries such as Belgium, the Nether-lands and Switzerland. But what relevance does this change in the law have for the Muslim part of the Austrian population? How have Muslim theologians and medical ethicists commented on assisted suicide so far and to what extent are these positions groundbreaking for Muslims in Austria and for the Muslim environment of suicide victims, including medical professionals and Islamic Pastoral Care in particular? This article presents specific regulations and an action-orientated approach that are necessary from an Islamic perspective in the implementation of the Death Disposition Law in Austria. In addition, central topics frequently discussed in the context of assisted suicide, such as the experience of suffering and the quality of life, are exam-ined from an Islamic perspective.
Keywords: Death Disposition Law – Assisted Suicide – Islamic Medical Ethics – Islamic Pasto-ral Care – Experience of Suffering – Quality of Life
IERM-Working-Paper Nr. 14
Ulrich H.J. Körtner
Hermeneutik in der Medizin
Die Zeit um 1800 war nicht nur für die Medizin, sondern auch für die Hermeneutik eine Blütezeit. Im Zuge des naturwissenschaftlichen Paradigmas ist die Hermeneutik in der Medizin jedoch seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts stark zurückgedrängt worden. Dabei sind auch für die heutige Medizin hermeneutische Fragestellungen hoch relevant. Das Paper plädiert dafür, die hermeneutische Frage in der Medizin wieder verstärkt zum Thema zu machen. Das hermeneutische Problem in der Medizin stellt sich schon im ersten Kontakt zwischen Arzt und Patient, bei der Differenz zwischen Fachsprache und Alltagssprache oder bei Übersetzungsproblemen. Zu bedenken ist auch der Zusammenhang zwischen Krankheit, Gesundheit und Biographie, wobei Geschichte und Geschichtlichkeit Grundbegriffe der Hermeneutik sind. Das vorliegende Paper richtet außerdem ein besonderes Augenmerk auf Fragestellungen einer Hermeneutik des Körpers, welche den Körper selbst als Text oder Sprache auffasst, wie am Beispiel von Wachkoma-Patienten veranschaulicht wird.
Schlüsselwörter: Hermeneutik, Phänomenologie, Anthropologie, Medizin, Life Sciences, Hermeneutik des Körpers
IERM-Working-Paper Nr. 13
Gerhard Aigner
Gedanken zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Sterben, zur Freiwilligkeit und Gewissenklausel und Ablehnung in Tendenzbetrieben samt dienstrechtlichen Konsequenzen
Das Working Paper setzt sich mit dem verfassungs(grund)rechtlichen Spannungsfeld des vom VfGH insbesondere aus Art 8 EMRK abgeleiteten Rechts auf ein menschenwürdiges Sterben gegenüber der im § 2 Abs 2 des Sterbeverfügungsgesetzes normierten Freiwilligkeit der Mitwirkung an einem assistierten Suizid (umfassendes Benachteiligungsverbot nach dem Vorbild der Gewissensklausel des § 97 Abs 2 und 3 StGB) und der allenfalls von Krankenanstalten- oder Heimträgern aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen strikten Ablehnung eines assistierten Suizids samt dienstrechtlichen Konsequenzen auseinander.
IERM-Working-Paper Nr. 12
Gerhard Aigner
Grundlagenpapier zur Schaffung des österreichischen Gesundheitsdatenraumes
Arbeitsgruppe Digitalisierung und Register des Obersten Sanitätsrates
Die Gesundheitsdatenlandschaft in Österreich ist verbesserungswürdig. Die weithin bekannten Schwachstellen, insbesondere die Existenz von Datensilos, die mangelnde Strukturiertheit und Verknüpfbarkeit werden im Detail benannt und im europäischen Kontext diskutiert. Die Arbeitsgruppe des Obersten Sanitätsrates stellt in Zusammenhang mit aktuellen Initiativen der EU (DGA, EHDS) Reformschritte vor um die Gesundheitsdatenlandschaft in Österreich nachhaltig zu verbessern.
Schlüsselwörter: öffentliche Gesundheit, Digitalisierung, Europäischer Gesundheitsdatenraum
IERM-Working-Paper Nr. 11
Gerhard Aigner
Gedanken zur Auskunftspflicht der Ärztekammern über aufklärende Ärzte iZm assistiertem Suizid
Gemäß § 7 Abs 1 Sterbeverfügungsgesetz (StVfG), BGBl I 2021/242, hat der Errichtung einer Sterbeverfügung eine Aufklärung durch zwei ärztliche Personen voranzugehen, von denen eine eine palliativmedizinische Qualifikation aufzuweisen hat, und die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss geäußert hat. Nach den ersten Erfahrungen stellt sich die Frage, auf welchem Weg Personen, die einen assistierten Suizid iS des StVfG in Anspruch nehmen wollen, in Erfahrung bringen können, wo ihnen zwei Ärztinnen/Ärzte für die dargestellte Aufklärung zur Verfügung stehen. In erster Linie könnte eine Auskunft durch die jeweilige Landesärztekammer in Frage kommen, doch findet sich im StVfG jedenfalls explicit keine diesbezügliche Verpflichtung. Die folgenden Gedanken gehen einer allfälligen Auskunftspflicht der Ärztekammern nach.
Schlüsselwörter: Sterbeverfügung, assistierter Suizid, Sterbeverfügungsgesetz, Medizinrecht, Auskunftspflicht, Palliativmedizin
IERM-Working-Paper Nr. 10
Karl Stöger
Das Medizinrecht nach der COVID-19-Pandemie – einige Thesen
Die COVID-19-Pandemie ist noch nicht vorbei, dennoch war sie schon bis jetzt Auslöser für unzählige rechtliche Regelungen. Besonders spannend ist, welche dieser Regelungen dauerhafte Änderungen der Rechtsordnung bewirken werden. Dieser Beitrag untersucht diese Frage, wenn auch durchaus im Sinne einer subjektiv gefärbten Auswahl für das Medizinrecht und konzentriert sich dabei in Form von Thesen besonders auf drei Bereiche: Zum einen auf die Notwendigkeit einer Neuregelung des Epidemierechts, zum zweiten auf die auch in dieser Pandemie deutlich sichtbar gewordenen Herausforderungen des Föderalismus für die Gestaltung des Gesundheitswesens und zum dritten auf eine Sammlung diverser kleinerer, aber keineswegs unbedeutender Themen.
Schlüsselwörter: Covid-19, Medizinrecht, Epidemierecht, Gesundheitswesen, Föderalismus
IERM-Working-Paper Nr. 9
Martina Schmidhuber, Thomas Gremsl, Franziska Reitegger und Carmen Oberreßl
Young Carers:Plädoyer für mehr Forschung für eine versteckte Gruppe
Young Carers sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die zu Hause erwachsene kranke Angehörige pflegen oder bei der Pflege unterstützen. Diese Gruppe gilt als versteckt, weil sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Die Pflegearbeit im Kindes- und/oder Jugendalter kann lebenslange psychische und physische Belastungen zur Folge haben. Erste Forschung zu Young Carers gibt es von Seiten der Pflegewissenschaften, aber noch nicht aus ethischer Sicht. Dieses Working Paper zeigt, in welchen Bereichen es in Österreich erforderlich ist, weitere Forschung mit und für Young Carers durchzuführen.
Schlüsselwörter: Young Carers, versteckte Gruppe, Scham, Unterstützungsmöglichkeiten, Forschung
IERM-Working-Paper Nr. 8
Gerhard Aigner
Strafgefangene – Medizinische Betreuung im Lichte neuer Behandlungsmethoden
Im 8. Working Paper des IERM geht Gerhard Aigner auf die Frage der Medizinische Betreuung von Strafgefangenen im Lichte neuer Behandlungsmethoden ein. Ausgehend von § 68 Abs 2 StVG wird u.a. auch auf die Klinische Prüfungen von Arzneimitteln und anderen Medizinprodukten eingegangen.
IERM-Working-Paper Nr. 7
Gerhard Aigner
COVID-19-Impfung off label
Das working paper diskutiert wie die Fragen der ärztlichen Aufklärung, Dokumentation und Haftung bei heterologer off label Anwendung eines mRNA Impfstoffs nach einer vorangegangenen einmaligen Impfung mit der COVID-19-Vaccine Janssen aus rechtlicher Sicht beurteilt werden können.
IERM-Working-Paper Nr. 6
Karl Stöger
COVID-19 im Alters- und Pflegeheim: Das Präventionskonzept und seine Grenzen
Die Bewohner*innen von Alters- und Pflegeheimen waren und sind durch das SARS-CoV-2-Virus besonders gefährdet. Dementsprechend wurden und werden Schutzmaßnahmen getroffen, um die Einschleppung des Virus sowohl durch Besucher*innen als auch durch neu oder wieder aufgenommene Bewohner*innen zu verhindern. Diese Maßnahmen sind vom Charakter her freiheitsbeschränkend, was zur rechtlichen Frage ihrer Zulässigkeit führt. Dieses working paper, beruhend auf der Antrittsvorlesung des Verfassers, möchte zu dieser Diskussion einen Beitrag leisten und untersucht dabei insbesondere die Rolle des sogenannten "Präventionskonzepts" bei der Festlegung von Schutzmaßnahmen im Alters- und Pflegeheim.
IERM-Working-Paper Nr. 5
Ulrich H.J. Körtner
Die VfGH-Entscheidung aus ethischer Sicht
Mit Entscheid vom 11. Dezember 2020 hat das österreichische Verfassungsgericht die geltende Rechtslage im Blick auf den assistierten Suizid für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2021 Zeit eine verfassungskonforme Regelung zu schaffen, wobei das Gericht ausdrücklich festgestellt hat, dass der Gesetzgeber zum Zweck der Suizidprävention und der Verhinderung des Missbrauchs rechtliche Beschränkungen der Suizidbeihilfe vornehmen kann. Der vorliegende Beitrag analysiert die wichtigsten ethischen Fragen, die das Urteil des VfGH aufwirft.
IERM-Working-Paper Nr. 4
Ulrich H.J. Körtner
Impfen: Freiheit und Verantwortung - Ethische Aspekte der COVID-19-Impfung
Freiheit, Solidarität, Verantwortung, Gerechtigkeit – das sind zentrale ethische Grundwerte in der Corona-Pandemie. Die Debatten um die angemessenen Strategien zur Eindämmung der Pandemie drehen sich im Kern darum, wie Freiheit und Verantwortung in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden können. Ein konkretes Beispiel für bestehende Spannungen zwischen Freiheit und Gemeinwohl, zwischen Eigenverantwortung und Verantwortung anderen gegenüber ist das Impfen. Der Beitrag diskutiert die wichtigsten ethischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Impfung gegen das COVID-19-Virus ergeben.
IERM-Working-Paper Nr. 3
Gerhard Aigner
COVID-19-Impfungen durch Turnusärzte und Qualitätssicherung
Im Zuge der Planung von COVID-19-Schutzimpfungen für breite Teile der Bevölkerung kommt auch der Frage nach den dafür benötigten Personalressourcen eine wesentliche Bedeutung zu. Inwieweit dafür auch Turnusärzte zur Verfügung stehen können, soll unter dem Aspekt der zur Patientensicherheit gebotenen Qualitätssicherung einer kurzen rechtlichen Betrachtung unterzogen werden.
IERM-Working-Paper Nr. 2
Ulrich H.J. Körtner
Care Fair im 21. Jahrhundert - Ethische Aspekte
Die Corona-Pandemie hat den Blick auf prekäre Verhältnisse in der 24-Stunden-Betreuung und auf die angespannte Lage im Pflegebereich gelenkt. Das wird zum Anlass genommen, über ethische Maßstäbe für Fair Care im 21. Jahrhundert nachzudenken. Pflege ist ein knappes Gut. Allokationsfragen, also die Frage, wie sich Ressourcen zur Erbringung von Pflegeleistungen bereitstellen lassen, und Fragen der Distribution, also die Frage, wie sich Pflegeleistungen bedarfsorientiert und gerecht an Pflegebedürftige zuteilen lassen, gewinnen an Schärfe – und das im globalen Maßstab. „Fair Care“ oder „Care fair“ steht für Gerechtigkeitsfragen in der Pflege an der Schnittstelle zwischen Pflegewissenschaft, Pflegeökonomie, Pflegeethik und Gesundheitspolitik.
IERM-Working-Paper Nr. 1
Martina Schmidhuber/Karl Stöger
Elektronische Patientenakten in der Pandemie – medizinethische und rechtliche Aspekte
Anfang April 2020 wurde die österreichische Sozialversicherung auf Grund der COVID-19 Pandemie gesetzlich verpflichtet, anhand ihr vorliegender Medikationsinformationen besonders gefährdete Personen zu identifizieren und individuell zu kontaktieren, um ihnen nach ärztlicher Abklärung die Möglichkeit zu geben, von ihrem Arbeitgeber besondere Schutzmaßnahmen gegen eine Ansteckung zu erlangen. Dieses aktuelle Beispiel wird zum Anlass genommen, den staatlichen Zugriff auf elektronische Patientenakten in einer gesundheitlichen Krisensituation medizinethisch und rechtlich zu bewerten.